Agilität ist in aller Munde, wenn es darum geht, Unternehmen und Belegschaften fit für die Zukunft zu machen. Unter Agilität im Arbeitsleben werden dabei in der Diskussion unterschiedliche Themenkomplexe wie flexible Arbeitszeit und agile Arbeitsorte (Home-Office, Mobile Office) verstanden. Dieser Beitrag setzt sich mit einer agilen Aufbauorganisation und agilen Arbeitsmethoden auseinander. Der erste Teil legt neben einer Einführung das Augenmerk auf individualrechtliche Fragestellungen.
A Einführung
1 Agile Aufbauorganisation
Die Digitalisierung [S. zur sog. 4. Industriellen Revolution bereits Günther/Böglmüller, NZA 2015, 1025.] führt nicht nur dazu, dass Technik sich immer schneller fortentwickelt. Auch Markttrends und Kundenerwartungen ändern sich in kürzeren Zyklen. Die klassischen Unternehmenshierarchien mit einer Linienorganisation oder Pyramidenstruktur sollen nicht mehr länger die geeignete Aufbauorganisation sein, um schnell und flexibel auf veränderte Kundenerwartungen reagieren zu können. [Vgl. auch Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (547); Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757.] Vielmehr sollen so genannte agile Netzwerkorganisationen es aus Sicht des Unternehmens besser ermöglichen, rechtzeitig Chancen, Risiken und Potenziale zu erkennen und darauf zu reagieren. [Koch, BB 2017, 387.] In der Reinform einer agilen Netzwerkorganisation bestehen unterhalb der Ebene des gesetzlichen Vertretungsorgans des Unternehmens keine verschiedenen Hierarchiestufen mehr. Streng hierarchische Berichtslinien und feststehende Fachabteilungen werden aufgelöst. [Sittard/Müller, ArbRB 2018, 381 (382).] An ihre Stelle treten flexibel zusammengesetzte, cross-funktionale Teams („Squads“). Diese werden je nach Aufgabe oder Projekt entsprechend der benötigten Kompetenzen zusammengestellt und erledigen die Arbeiten in der Folge eigenverantwortlich.
In der Praxis werden häufig Elemente einer agilen Netzwerkorganisation in klassisch-hierarchische Aufbauorganisationen integriert, indem z.B. zunächst nur einzelne Bereiche oder Abteilungen agil aufgestellt sind („agile Inseln“). Ob in Rein- oder zunächst in Mischform: Eine agile Aufbauorganisation hat nicht nur eine Änderung des Organigramms zur Folge. Die Rolle der Führungskräfte ist in einer agilen Aufbauorganisation anders definiert („heute Chef, morgen agil?“). Führungskräfte rücken in die Rolle eines Moderators. [Näher zur Abkehr von hierarchischen Führungsstrukturen in der Praxis Wallisch, NZA-Beil. 2018, 81 (82).] Ihre Aufgabe besteht weniger darin, zu delegieren und kontrollieren. Stattdessen sollen sie Konflikte in autonom arbeitenden Teams moderieren und Mitarbeiter individuell weiterentwickeln („Coach“). [Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 484 (487).] Schließlich wird so manche Führungskraft wieder stärker in die operative Tätigkeit eingebunden werden.
Neben einer Veränderung in der Führungskultur kann ein weiterer Wandel in der Unternehmenskultur eintreten, da Fehler in einem agil aufgestellten Unternehmen primär als Lernpotenzial für die gesamte Organisation verstanden werden. Fehler sollen schnell erkannt und auch im Team geteilt werden. Die Dienstleistung oder das Produkt sollen so zügig besser werden. Teure und langwierige Entwicklungsprozesse, in denen ein Produkt zunächst fehlerhaft bis zur scheinbaren Marktreife entwickelt wird, weil der einzelne Mitarbeiter aus Angst vor Nachteilen für seine Karriere einen Fehler verschweigt, sollen vermieden werden („fail fast, fail early, fail cheap“). Die Definition von Fehler als Chance dürfte für einige Unternehmen ebenso neu sein wie die hierzu geforderte Transparenz im Umgang mit Fehlern.
2 Agile Arbeitsmethoden
Ebenso wie eine agile Aufbauorganisation sollen agile Arbeitsmethoden besser als klassische Projekt-/Arbeitsmethoden Unternehmen in die Lage versetzen, flexibel auf Marktänderungen und neue Kundenwünsche reagieren zu können. Eine Entwicklung „am Markt vorbei“ soll dadurch vermieden werden. Zudem versprechen agile Arbeitsmethoden generell kürzere Entwicklungs-/Bearbeitungszyklen und sollen auch den Wissensaustausch in der Organisation fördern. [Sittard/Müller, ArbRB 2018, 381 (382).]
a) Agiles Manifest
An einem Ski-Wochenende im Jahr 2001 in Utah haben Experten auf dem Gebiet der Software-Entwicklung das so genannte agile Manifest verfasst. [Abrufbar unter: https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html (zuletzt abgerufen am: 13.2.2019); hierzu auch Hoeren/Pinelli, MMR 2018, 199.] Das agile Manifest hat folgende Kernelemente:
- Menschen und Interaktionen stehen über Prozessen und Werkzeugen.
- Funktionierende Software steht über einer umfassenden Dokumentation.
- Zusammenarbeit mit dem Kunden steht über der Vertragsverhandlung.
- Reagieren auf Veränderungen steht über dem Befolgen eines Plans.
Bei einer agilen Arbeitsweise werden entsprechend Schwerpunkte gesetzt. Verträge und Vertragsverhandlungen sind keinesfalls unwichtig. Es soll für den Erfolg des Projekts aber zielführender sein, sich regelmäßig und intensiv mit dem Kunden im Verlauf des Projekts auszutauschen als möglichst bereits vor Beginn des Projekts einen weitgehend abschließenden Leistungskatalog zu verhandeln und zu vereinbaren.
b) Beispiel: Scrum
Eine agile Arbeitsmethode zeichnet sich im Gegensatz zur klassischen Entwicklungs-/Projektmethode wie z.B. Waterfall durch eine iterative Herangehensweise aus.
Das Produkt wird nicht auf Basis einer konkreten und ausführlichen Leistungsbeschreibung in festen Zuständigkeiten entlang eines möglicherweise mehrmonatigen Projektplans erarbeitet und am Ende einem Markttest unterzogen. Stattdessen werden in kurzen Zeitabständen Zwischenprodukte entwickelt und mit Produktverantwortlichen diskutiert. [Vgl. Schindele, ArbRAktuell 2015, 363, (366).] Daraus kann eine Anpassung der Planungen und Produktanforderungen entstehen, die flexibel in den weiteren Prozess eingesteuert wird. Auch werden so mehr Sichtweisen eingebracht als bei starren Zuständigkeiten. Dies kann das Produkt verbessern und Risiken vermeiden.
Die derzeit meist genutzte agile Arbeitsmethode ist Scrum. [Ausf. hierzu Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 484 (486 ff.); Sittard/Müller, ArbRB 2018, 381; Heise/Friedl, NZA 2015, 129; Bortz, MMR 2018, 287.] Eine Analyse der Marktforscher von bitkom research zeigt, dass 79 Prozent der deutschen Unternehmen, die agile Arbeitsmethoden anwenden, auf Scrum setzen. Bei Handelsunternehmen sind es über 90 Prozent. [S. Mitt. von bitkom research vom 21.9.2018, abrufbar unterhttps://www.bitkom-research.de/Presse/Pressearchiv-2018/Scrum-Koenig-unter-den-agilen-Methoden (zuletzt abgerufen am: 13.2.2019).]
Bei der Scrum-Methode existieren typischerweise drei Rollen. [Zur Rollenverteilung in agilen Projekten Hoeren/Pinelli, MMR 2018, 199 (200); s. auch Bortz, MMR 2018, 287 (290).] Der Product Owner verantwortet die Konzeption und die Mitteilung an das Entwicklungsteam. Er stellt die Anforderungen an das Produkt zusammen und teilt diese in einzelne Arbeitsaufträge („Tasks“) auf. Sodann priorisiert er die Abarbeitung der einzelnen Arbeitsaufträge. Der Scrum Master ist dagegen der Moderator des Entwicklungsteams. Ihm kommt keine fachliche Führungsrolle, sondern eher eine Coaching-Funktion zu. [Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 484 (487).] Als „dienende Führungskraft“ soll er Konflikte im Entwicklungsteam lösen und Hemmnisse aus dem Weg räumen. Er sorgt für die Einhaltung der „Spielregeln“, z.B. soll er auf die Durchführung täglicher Besprechungen („Daily“) achten. Das Entwicklungsteam setzt sich aus regelmäßig drei bis neun Mitgliedern entsprechend der notwendigen Qualifikationen zusammen. Das Entwicklungsteam übernimmt die Herstellung des Produkts und organisiert sich dabei selbst. Das Team bestimmt, wer etwas wie macht. Weder Product Owner noch Scrum Master geben dabei fachliche Weisungen. Der Arbeitgeber verzichtet insoweit auf die Ausübung seines Direktionsrechts. [S. dazu Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (547).]
Der Ablauf [Hierzu auch Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, ArbR 4.0 – HdB, 2018, Kap. 2 Rn. 105 ff.] eines Projekts nach der Scrum-Methode stellt sich grundsätzlich wie folgt dar:
- In der User Story wird das Projektziel definiert. Dies sind der mehr oder weniger konkretisierte Kundenwunsch (z.B. Entwicklung einer bestimmten App) und die Anforderungen des Kunden an die Funktionalität des Produkts. Das Endprodukt muss dabei noch nicht feststehen. Die User Story enthält in der Regel in einer knappen Formulierung wer was von wemmöchte.
- Der Product Owner überführt die User Story in das so genannte Product Backlog (Aufgabenliste). Die Produktanforderungen werden in einzelne Aufgaben zerlegt und im Product Backlog priorisiert.
- Im Rahmen des so genannten Sprint Planning Meeting plant das Entwicklungsteam welche Aufgaben wer wie im anstehenden Arbeitszyklus („Sprint“) erledigt. Der Scrum Master greift gegebenenfalls moderierend ein. Das Entwicklungsteam entnimmt die einzelnen Arbeitsaufträge entsprechend der Priorisierung durch den Product Owner aus dem Product Backlog. Wie viele Arbeitsaufträge es pro Arbeitszyklus entnimmt, entscheidet das Entwicklungsteam selbst. Der Product Owner gibt keine Weisungen, wie die einzelnen Arbeitsaufträge abgearbeitet werden sollen.
- Während des Arbeitszyklusses findet eine tägliche Einsatz.B.esprechung („Daily“) statt. Hier sollen der aktuelle Projektstand besprochen und etwaige Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Klassischerweise werden drei Fragen besprochen: „Was hast du gestern gemacht?“, „Was machst du heute bis morgen fertig?“, „Gibt es ein Problem, das dich bei deiner Aufgabe behindert?“
- Nach Abschluss eines Sprints (ca. zwei bis vier Wochen) wird das Teilergebnis in einem so genannten Sprint Review mit dem Product Owner und gegebenenfalls auch unter Einbindung des Kunden diskutiert. Etwaige Fehler oder nicht gewünschte Ausprägungen können erkannt und im nächsten Sprint behoben werden. Auch können sich aus der Diskussion neue Anforderungen an das Endprodukt ergeben, die in die weitere Planung einfließen.
- Nach der Durchführung mehrerer Sprints steht am Ende das fertige Produkt. In einer so genannten Retrospektive tauschen die Beteiligten sich über ihre Erfahrungen aus, um Verbesserungen für das nächste Projekt umzusetzen.
Ist die Scrum-Methode zunächst in der Software-Entwicklung eingesetzt worden, greifen immer mehr Unternehmen diese Arbeitsmethode auch in anderen Bereichen wie Forschung und Entwicklung, Marketing und Sales auf. [Birkner, Die agilen Inseln bei Otto wachsen in COMP& BEN, Ausgabe 1, Januar 2019, 6, abrufbar unter: https://www.compbenmagazin.de/wp-content/uploads/sites/7/2019/01/HR_Comp_Ben_Ausgabe1_2019_Magazin.pdf. (zuletzt abgerufen am: 13.2.2019); vgl. zu weiteren Erfahrungen aus agilen Unternehmen Redmann, Agiles Arbeiten im Unternehmen, 2017, 155.] Auch im HR-Bereich [S. hierzu Lautenberg/Kienbaum, BOARD 2018, 3 (6).] kann sich eine agile Arbeitsmethode anbieten, wenn es z.B. darum geht, neue Personalkonzepte zu erarbeiten. Wo hingegen stark standardisierte Prozesse mit geringer Fehlertoleranz notwendig sind (wie z.B. bei der administrativen Abwicklung von Gehaltszahlungen), bieten sich agile Arbeitsmethoden nicht an. In der Praxis werden agile Arbeitsmethoden zudem oftmals auch nicht in der Reinform durchgeführt. Häufig werden zunächst einzelne agile Elemente in die Arbeitsabläufe integriert.
B Individualarbeitsrechtliche Rahmenbedingungen agiler Arbeit
1 Verzicht auf Ausübung von Weisungsrechten in autonom agierenden Teams
Wesensmerkmal agiler Arbeitsmethoden ist die Abkehr von konventionellen Hierarchieebenen. [Henssler, RdA 2017, 83 (90).] Die Teammitglieder [In dem Abschnitt zu individualarbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen beziehen sich die Autoren auf interne Mitglieder der agilen Teams, also auf Arbeitnehmer des Unternehmens, das agile Arbeitsmethoden einführt. Der nächste Beitrag befasst sich mit gemischten Teams, in denen Arbeitnehmer mit freien Mitarbeitern und/oder Drittpersonal gemeinsam im Team arbeiten.] verteilen ihre Rollen untereinander und organisieren sich selbst. Weisungen „von oben nach unten“ werden bei agiler Arbeit faktisch hinfällig. Das Arbeitsrecht geht hingegen von einer anderen Grundkonzeption aus. Nach § 106 GewO, § 611 a I 2 BGBbestimmt der Arbeitgeber einseitig Ort, Zeit und Inhalt des Arbeitsverhältnisses, was sich praktisch in hierarchischen Organisationsstrukturen verwirklicht. Die Vorschrift statuiert allerdings keine grundsätzliche Pflicht des Arbeitgebers, von seinem Direktionsrecht Gebrauch zu machen. Insofern arbeiten Teams agil soweit es der Arbeitgeber zulässt. Ein faktischer Verzicht des Arbeitgebers auf die fachliche Weisungshoheit ist aus rechtlicher Sicht bedenkenlos möglich. Der Arbeitgeber macht dabei von seiner unternehmerischen Freiheit Gebrauch. Bei arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen von Teammitgliedern kann der Arbeitgeber aber auch in hierarchielosen Strukturen gezwungen sein, sein disziplinarisches Weisungsrecht auszuüben und personelle Maßnahmen, wie eine Abmahnung oder Kündigung zu ergreifen. Dies kann aus Compliance-Gründen geboten sein, um Haftungsrisiken für das Unternehmen und die Geschäftsführung zu vermeiden. Einzelne Bereiche disziplinarischer Weisung lassen sich dennoch autonom durch das Team regeln. Zu denken ist dabei an eine selbstständige Absprache und Festlegung von Urlaubszeiten oder die Vereinbarung von vergütungswirksamen Performance-Zielen. [S. ausf. zu Weisungsrechten in autonomen Teams Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (547).]
Auch wenn arbeitgeberseitige Weisungsrechte vertraglich abdingbar sind, sollten Arbeitgeber nur sehr zurückhaltend auf einen entsprechenden vertraglichen Ausschluss zurückgreifen, um sich nicht jeglicher Handlungsmöglichkeiten zu entledigen. Bei Neueinstellung sollte darauf geachtet werden, den Tätigkeitsbereich weit zu fassen, um Mitarbeiter flexibel einsetzen zu können. Starre Positionsbeschreibungen würden einen agilen Mitarbeitereinsatz beschränken. [Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (547).]
Übt der Arbeitgeber sein Weisungsrecht faktisch nicht aus und überlässt das Team sich selbst, wird dadurch die Arbeitnehmereigenschaft der Team-Mitglieder nicht zwangsläufig infrage gestellt. Ein Arbeitsverhältnis ist zwar durch weisungsabhängige Leistung von Diensten definiert, die Nichtausübung des Weisungsrechts schließt aber nicht automatisch im Umkehrschluss die Arbeitnehmereigenschaft aus. [BAG, NZA 2007, 580 = AP SGB § 16 II Nr. 1; grdl. zu den Rechtsfolgen bei Nichtausübung des Weisungsrechts, BeckOK ArbR/Tilmanns, 50. Ed., GewO § 106 Rn. 54 ff.] Nach der Rechtsprechung soll der Arbeitnehmerstatus nicht durch den Verzicht auf Weisungsrechte verloren gehen, wenn der Vertrag explizit als Arbeitsvertrag bezeichnet ist. [BAG, NZA 2007, 580 = AP SGB § 16 II Nr. 1; LAG Thüringen, NZA-RR 1998, 296.] Bei Tätigkeiten höherer Art ist die Frage nach der fachlichen Weisungsgebundenheit bei der Bewertung einer Arbeitnehmereigenschaft von vornherein nur von geringer Bedeutung. [BAGE 77, 226 = NZA 1995, 161.]
2 Qualifizierung und Weiterbildung
Jedenfalls bei der erstmaligen Einführung agiler Arbeitsmethoden können Arbeitnehmer in agilen Arbeitsweisen zu schulen sein. Mit Blick auf den einzelnen Arbeitnehmer kann relevant werden, ob dieser einerseits einen Anspruch auf Weiterbildung gegenüber dem Arbeitgeber hat oder andererseits auch in der Pflicht steht, sich entsprechend weiterzubilden.
a) Anspruch auf Qualifizierung und Weiterbildung
Dem Gesetz ist ein ausdrücklicher allgemeiner Weiterbildungsanspruch nicht zu entnehmen. Vereinzelt finden sich Weiterbildungsansprüche in Spezialgesetzen, wie beispielsweise dem ASiG, in dem ein Weiterbildungsanspruch für Betriebsärzte vorgesehen ist. In Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen finden sich regelmäßig Rahmenvereinbarungen zu Fortbildungsmaßnahmen, selten hingegen konkrete Weiterbildungsansprüche für den einzelnen Arbeitnehmer. [Arnold/Winzer in Arnold/Günther, ArbR 4.0 – HdB, 2018, Kap. 3 Rn. 103 ff.]
Zu einem aus dem Arbeitsvertrag abgeleiteten individuellen Fortbildungsanspruch gehen die Meinungen in der arbeitsrechtlichen Literatur auseinander. Eine Mindermeinung folgert einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterbildung aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitgebers. [Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, Rn. 97 ff.; ders., Digitalisierung Arbeitsrecht, Soziales Recht (SR), Beilage zu AuR Sonderheft, Juli 2016, 2 (30 f.).] Dies soll auch gelten, wenn der Vertrag keine Regelung zu Fortbildungen enthält. Nach dieser Ansicht sei es Aufgabe des Arbeitgebers, die für die Erbringung der Arbeitsleistung erforderlichen Voraussetzungen sowie möglichst humane Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dieser Ansatz konnte sich bislang aber nicht durchsetzen. [So auch Krause, Gutachten B zum 71. Deutschen Juristentag, Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf, Rn. 85.]
Nach einer anderen Ansicht sei ein Fortbildungsanspruch aus dem Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers abzuleiten. Sofern eine vertragsmäßige Beschäftigung in Zeiten der Digitalisierung aufgrund geänderter Arbeitsbedingungen und Anforderungsprofile nur nach entsprechender Weiterbildung möglich ist, soll ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine solche, den status quo erhaltende Fortbildung haben. [Kramer/v. der Straten, IT-Arbeitsrecht, Digitalisierte Unternehmen: Herausforderungen und Lösungen, B. Rn. 95.] Eine solche Annahme scheint zu weitgehend. [Arnold/Winzer in Arnold/Günther, ArbR 4.0 – HdB, 2018, Kap. 3 Rn. 112.] Der aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers soll die Würde des Arbeitnehmers wahren, indem dem Arbeitnehmer eine vertragsmäßige Beschäftigung nicht verwehrt werden darf, wenn dieser eine solche verlangt. Der Persönlichkeitsschutz kann allerdings nicht so weit gehen, dass der Arbeitgeber verpflichtet sein soll, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, die persönlichen Anforderungen an die vertragsmäßige Beschäftigung zu erfüllen.
In vielen Fällen haben sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ein Interesse an regelmäßiger oder spezifischer Fortbildung. Durch individuelle Fort- und Weiterbildungsvereinbarungen können Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern vertragliche Weiterbildungsansprüche einräumen.
So besteht im Ergebnis bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden grundsätzlich kein individualrechtlicher Anspruch betroffener Arbeitnehmer auf eine spezifische Fortbildung. Gezielte Fort- und Weiterbildung für einzelne Mitarbeiter zu agiler Arbeitsorganisation und agilen Arbeitsmethoden dürfte aber die gewünschte Umsetzungsgeschwindigkeit erhöhen.
b) Pflicht des Arbeitnehmers zur Fortbildung
Fraglich ist, ob Arbeitnehmer bei einer Änderung der bestehenden oder Einführung neuer Arbeitsmethoden verpflichtet sind, sich entsprechend fortzubilden. Wäre dies der Fall, könnte der Arbeitgeber eine Fortbildung des Arbeitnehmers unter Umständen erzwingen.
Mit den in speziellen Einzelfällen gesetzlich geregelten Fortbildungsansprüchen bestimmter Arbeitnehmergruppen gehen meist korrelierende Fortbildungspflichten einher. [S. dazu bspw. § 2 III ASiG für den Betriebsarzt oder Art. 37–39 DSGVO für den Datenschutzbeauftragten.] Im Übrigen bestehen keine ausdrücklich gesetzlich geregelten Fortbildungspflichten. Die explizite Regelung von Fortbildungspflichten in Arbeitsverträgen oder Tarifverträgen ist in der Praxis nicht üblich.
Das Direktionsrecht nach § 106 GewO, § 611 a I 2 BGBerlaubt es dem Arbeitgeber, die Ausübung der im Arbeitsvertrag umschriebenen Arbeitsleistung näher zu bestimmen. Der Arbeitgeber kann einseitig anordnen, dass sich der Arbeitnehmer im Rahmen seiner vertraglich geschuldeten Tätigkeit neues Wissen aneignet. Das Direktionsrecht umfasst die Anweisung zur Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen, die das erforderliche Wissen und die erforderlichen Qualifikationen zur Ausübung der arbeitsvertraglichen Tätigkeitspflichten vermitteln. [Natzel, BB 2010, 697 (699 f.); Küttner/Poeche, Fortbildung, Rn. 16.] Ist die Arbeit nach agilen Arbeitsmethoden von der vertraglich geschuldeten Tätigkeitsbeschreibung erfasst, kann der Arbeitgeber die Mitarbeiter im Rahmen des Direktionsrechts zur Teilnahme an entsprechenden Schulungen verpflichten.
c) Obliegenheit im jeweils eigenen Interesse
Falls sich durch eine „agile Transformation“ das Arbeitsumfeld derart verändert, dass der Arbeitnehmer mit seinen bisherigen Kenntnissen nicht mehr eingesetzt werden kann, hat der Arbeitgeber ihm unter Umständen im Rahmen des Zumutbaren eine Weiterbildung zu ermöglichen, bevor er eine Kündigung aussprechen darf. Dies ergibt sich aus dem in § 1 II 3 KSchGgeregelten Vorrang der Weiterbeschäftigung nach zumutbaren Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Gleichermaßen liegt die Teilnahme an der Fortbildung im Falle des § 1 II 3 KSchGauch im Interesse des Arbeitnehmers, um eine betriebsbedingte Kündigung abzuwenden. [S. ausf. hierzu Arnold/Winzer in Arnold/Günther, ArbR 4.0 – HdB, 2018, Kap. 3 Rn. 126.]
3 Establishment und Re-Establishment agiler Teams
Die Einführung einer agilen Aufbauorganisation und / oder die Einführung agiler Arbeitsmethoden sind gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber individualrechtlich umzusetzen. Geht es dabei lediglich um die Einführung einer agilen Arbeitsmethode als neue Arbeitstechnik, ist dies im Regelfall vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst. Dieser kann nach § 106 GewO, § 611 a I 2 BGBim Rahmen der arbeitsvertraglichen Vorgaben einseitig präzisieren, was wie gemacht wird. Die Nutzung einer bestimmten Arbeitsmethode ist – wenn überhaupt – wohl nur in seltenen Fällen bereits im Arbeitsvertrag niedergelegt.
Geht mit der agilen Transformation des Unternehmens aber ein Rollenwechsel des Arbeitnehmers in der Weise einher, dass die neue Rolle nicht dem Sozialbild seiner bisherigen Tätigkeit entspricht, kann die Tätigkeitsänderung nicht mehr durch bloße Weisung des Arbeitgebers herbeizuführen sein. [Fn. 33: Schaub/Linck, ArbR-HdB, 17. Aufl. 2017, § 45 Rn. 32.] In diesem Fall ist eine Änderungskündigung nach § 2 KSchGoder eine einvernehmliche Anpassung des Arbeitsvertrags notwendig. Denkbar ist dies z.B., wenn eine Führungskraft mit Personalverantwortung künftig als Mitglied autonom und gleichrangig handelnder agiler Teams tätig wird und keine Führungsverantwortung mehr hat. Stets kommt es aber dabei auf den Einzelfall an.
Ist die Zuweisung einer agilen Rolle oder Tätigkeit zwar vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst, kann aber eine Versetzung iSv § 95 III 1 BetrVGvorliegen, so dass der Arbeitgeber eine Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVGeinholen muss, um die personelle Einzelmaßnahme wirksam umsetzen zu können. Eine Versetzung liegt nach § 95 III 1 BetrVGvor, wenn die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Eine erhebliche Änderung der Umstände wird auch angenommen, wenn eine substanzielle Änderung der Arbeitsorganisation eintritt. [Fitting, BetrVG, 29. Aufl. 2018, § 99 Rn. 139 d.] Die Zuweisung in eine „hierarchielose Arbeitseinheit“ kann demnach je nach den Umständen des Einzelfalls eine solche Änderung der organisatorischen Umgebung bedeuten. Eine Versetzung liegt dann wegen der Änderung der organisatorischen Umgebung, nicht aber wegen der gelockerten oder weitgehend fehlenden Weisungsabhängigkeit vor. [Fitting, BetrVG, § 99 Rn. 139 d; BAG, AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 47 = NJOZ 2008, 5195 = NZA 2008, 1432 Os.]
In Unternehmen, die weiterhin nach der klassischen Arbeitsmethode in hierarchischer Arbeitsorganisation arbeiten und zugleich einzelne agile Teams einführen, werden Arbeitnehmer u. U. zwischen der „hierarchielosen Arbeitseinheit“ und der „klassischen Arbeitsorganisation“ hin und her wechseln. Je nach Aufgabe und Projekt werden sie „agil“ oder „klassisch“ tätig. Ein solch ständiger Wechsel kann prägend für das einzelne Arbeitsverhältnis sein, so dass nicht mit jedem einzelnen Wechsel eine Versetzung vorliegt. Nach § 95 III 2 BetrVGist die Bestimmung des jeweiligen Arbeitsplatzes dann nicht als mitbestimmungspflichtige Versetzung anzusehen, wenn Arbeitnehmer nach der Eigenart ihres Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht ständig an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt werden. Dies ist bislang z.B. anerkannt für Monteure und IT-Spezialisten, die bei unterschiedlichen Kunden eingesetzt werden. [ErfK/Kania, BetrVG § 99 Rn. 17; LAG Hessen, Beschl. v. 13.2.2007 – 4 TaBV 200/06, BeckRS 2007, 44563; Fitting, BetrVG, § 99 Rn. 159.] Bei einem typischerweise bestehenden Nebeneinander von agilen und klassischen Arbeitsmethoden liegt eine vergleichbare Situation vor. Zwar wird teilweise der Anwendungsbereich des § 95 III 2 BetrVGnur bei einem Wechsel des Arbeitsorts, nicht aber der Tätigkeit oder Arbeitsorganisation als eröffnet angesehen. [S. dazu Fitting, BetrVG, § 99 Rn. 157.] Zwar ist es richtig, dass in § 95 III 2 BetrVGvon „Arbeitsplatz“ die Rede ist, wohingegen § 95 III 1 BetrVGauf den „Arbeitsbereich“ abstellt. Im ursprünglichen Regierungsentwurf war in beiden Sätzen aber noch der „Arbeitsplatz“ genannt. [BT-Drs. VI/1786, 19.] Die später abweichende Formulierung in Satz 1 der Regelung sollte nach den Gesetzesmaterialien keine inhaltliche Änderung herbeiführen, sondern nur der Klarstellung dienen. [Vgl. Bericht des BT-Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drs. VI/2729, 30.] Es ist daher davon auszugehen, dass die unterschiedlichen Begrifflichkeiten auf ein Redaktionsversehen zurückgehen und „Arbeitsplatz“ in Satz 2 nichts anderes meint als „Arbeitsbereich“ in Satz 1. Satz 2 ist also nicht auf Änderungen des Arbeitsorts beschränkt. [So auch Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 99 Rn. 113.]
4 Open Space Offices/Desk Sharing
Um den agilen Gedanken des Netzwerks (Teamarbeit, Wissensaustausch, Erfahrungsaustausch etc.) zu fördern, stellen Unternehmen auch Raumkonzepte um. Open Space-Konzepte mit Kommunikations- und Konzentrationsräumen ändern das Arbeitsumfeld. Bei einem Desk Sharing besteht kein fester Arbeitsplatz mehr, Arbeitnehmer suchen sich morgens ihren Arbeitsplatz für den Tag. Individualrechtlich stellt sich die Frage, ob der einzelne Mitarbeiter Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz hat oder ob den Mitarbeitern gegenüber veränderte Büroraumkonzepte im Wege des Direktionsrechts durchgesetzt werden können. [Dazu auch Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757 (2578).] Auch wenn die Mehrheit der Beschäftigten nach wie vor einen festen ortsgebundenen Arbeitsplatz im Betrieb bevorzugt, ist ein solcher Anspruch aus individualarbeitsrechtlicher Sicht zu verneinen. [Näher zu individualarbeitsrechtlichen Fragen des Desk Sharing Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (551); ferner Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2018, 1225 (1227).] Solange die arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften gewahrt werden, steht es dem Arbeitgeber frei, Büroräume so einzurichten und zu strukturieren, wie er aus seiner Sicht arbeitstechnische Zwecke effektiv verfolgen kann. [Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (551).]
5 Agile Arbeitszeit
Agile Arbeitsmethoden zeichnen sich ua durch die Aufteilung eines Projekts in einzelne Teilprojekte mit kurzzeitigen Arbeitszyklen aus. [Zu „agiler Arbeitszeit“ Redmann, Agiles Arbeiten im Unternehmen, 2017, 71 ff.] Der Fokus liegt dabei auf dem zielgerichteten Erreichen von Zwischenergebnissen. Dies kann dazu führen, dass sich die Arbeitsintensität abhängig von der jeweiligen Phase eines Arbeitszyklus stark verdichtet und weniger regelmäßig verläuft. Das geltende Arbeitszeitrecht bietet allerdings keine adäquate Lösung [So auch Wallisch, NZA-Beil. 2018, 81 (84).] für kurzzeitige Arbeitsspitzen, die beispielsweise in der Endphase eines „Scrum-Sprints“ erforderlich werden können. Im Grundsatz gibt das Arbeitszeitgesetz eine tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden und die Einhaltung einer elfstündigen ununterbrochenen Ruhezeit vor. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die tägliche Höchstarbeitszeit zehn Stunden betragen. Dabei handelt es sich um eine absolute Höchstgrenze, die auch durch flexible Arbeitszeitmodelle wie Arbeitszeitkonten oder Vertrauensarbeitszeit nicht überschritten werden kann. Solange das Arbeitszeitrecht die Arbeitswirklichkeit nicht abbildet, bleibt nur auf die Beachtung des Arbeitszeitgesetzes und die Ausschöpfung kollektiver Regelungsmöglichkeiten durch die Betriebspartner oder Tarifvertragsparteien hinzuweisen. [S. ausf. zu Digitalisierung in der Arbeitswelt und Arbeitszeitrecht Arnold/Winzer in Arnold/Günther, ArbR 4.0 – HdB, 2018, Kap. 3 Rn. 4 ff.]
III Fazit
Bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden stellen sich einige individualarbeitsrechtliche Fragen. Weisungsrechte des Arbeitgebers ließen sich zugunsten hierarchieloser Arbeitsstrukturen vertraglich abbedingen. Eine Notwendigkeit besteht dazu aber nicht. Der Arbeitgeber kann faktisch auf die Ausübung seiner Weisungsbefugnisse verzichten und in erforderlichen Fällen, ua zur Haftungsvermeidung, von seinem disziplinarischen Weisungsrecht Gebrauch machen. Arbeiten in agilen Strukturen führt zu einem fortwährenden Schulungs- und Qualifizierungsbedarf. Während ein allgemeiner individualrechtlicher Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortbildung grundsätzlich nicht besteht, ist abhängig von der arbeitsvertraglichen Tätigkeitsbeschreibung die einseitige Anordnung zur Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen und damit eine Fortbildungspflicht des Arbeitnehmers anzunehmen. Im nächsten Teil des Beitrags erörtern die Autoren insbesondere Risiken der Scheinselbstständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung bei der Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern und Drittpersonal in agilen Teams sowie Maßnahmen zur Risikominimierung.
Einführung agiler Arbeitsmethoden – Risiken des Einsatzes von Fremdpersonal sowie betriebliche Mitbestimmung
Der erste Teil des Beitrags befasste sich neben allgemeinen Ausführungen zu agiler Arbeit insbesondere mit individualrechtlichen Fragestellungen bei der Einführung agiler Arbeitsorganisationen und -methoden. Im vorliegenden zweiten Teil werden Risiken der Scheinselbstständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung bei der Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern und Drittpersonal in agilen Teams (II) sowie Fragen der betrieblichen Mitbestimmung (III) erörtert.
I Agile Arbeit
Agile Aufbauorganisationen und agile Arbeitsmethoden [Ausf. zu agilen Aufbauorganisationen und agilen Arbeitsmethoden Teil 1 des Beitrags Günther/Böglmüller, NZA 2019, 273.] haben sich im Bereich der Softwareentwicklung bereits seit längerer Zeit etabliert. Im Zuge der Digitalisierung setzen Unternehmen unterschiedlicher Branchen zunehmend auf agile Arbeit und implementieren entsprechende Arbeitsstrukturen. Im Einzelfall differiert die Einführung agiler Arbeitsmethoden in der Umsetzungsgeschwindigkeit, der Intensität der unternehmensweiten Verbreitung und der konkreten „Spielart“. Abhängig von Unternehmensgröße, Branche und Unternehmenskultur sind verschiedene Gestaltungen denkbar. Kernelement agiler Arbeit ist dabei der Übergang von Linienorganisationen zu Netzwerkorganisationen unter Auflösung klassischer Hierarchiestrukturen. Flexibel zusammengesetzte, cross-funktionale Teams treten an die Stelle von in feste Berichtslinien eingebundenen Fachabteilungen. Eine solche agile Arbeitsorganisation soll es Unternehmen ermöglichen, rechtzeitig Chancen, Risiken und Potenziale zu erkennen und darauf zu reagieren. [Koch, BB 2017, 387.]
Die aktuell am weitesten verbreitete agile Arbeitsmethode ist Scrum. Zu unterscheiden sind hier im Grundsatz drei Funktionen: [S. dazu Hoeren/Pinelli, MMR 2018, 199 (200); Bortz, MMR 2018, 287 (290).] Der Product Owner, der Scrum Master und das Entwicklungsteam. Der Product Owner formuliert die Ziele und Anforderungen an das Projekt und teilt diese dem Entwicklungsteam mit. Er fungiert als Schnittstelle zum Unternehmen und Kunden und ist für das Produkt und die Konzeption verantwortlich. Der Scrum Master moderiert den Entwicklungsprozess und achtet auf die Einhaltung der agilen Projektstruktur, ohne fachliche Weisungen zu erteilen und ohne dabei als Führungskraft aufzutreten. Das Entwicklungsteam besteht regelmäßig aus drei bis neun Personen und organisiert sich selbst. Zur Umsetzung der produktbezogenen Vorgaben bestimmt das Entwicklungsteam selbstständig, wer im Team welche Teilaufgaben übernimmt, welches Arbeitsvolumen in bestimmten Zeiteinheiten erledigt werden soll, die inhaltliche Vorgehensweise und die Organisation des Teams. Das Team unterliegt keinen fachlichen Weisungen des Scrum Masters oder des Product Owners.
II Gemischte Teams
Binden Unternehmen externe Expertise in den agilen Arbeitsprozess ein, kann je nach konkreter Ausgestaltung das Risiko einer Scheinselbstständigkeit oder verdeckten Arbeitnehmerüberlassung vorliegen. [Vgl. zur Abgrenzungsproblematik Heise/Friedl, NZA 2015, 129 (133).]
1 Generelles
Maßgeblich für die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Schutzvorschriften ist das Vorliegen eines Arbeitsvertrags und damit die Arbeitnehmereigenschaft des Beschäftigten. Nach § 611 a I 1 BGBist Arbeitnehmer, wer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Weisungsgebunden ist gem. § 611 a I 3 BGB, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Das zentrale Kriterium der Weisungsgebundenheit führt insbesondere in agilen Teams zu Abgrenzungsschwierigkeiten bei der rechtlichen Qualifizierung einzelner Teammitglieder. [S. auch Henssler, RdA 2017, 83 (90).] Agile Teams zeichnen sich oftmals durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und den Einsatz Externer aus.
Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn eine Person als freier Mitarbeiter selbstständige Dienst- oder Werkleistungen erbringen soll, tatsächlich aber wie ein abhängig Beschäftigter nichtselbstständige Arbeit leistet. [Unter Vielen v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2018, 114.] Die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung umschreibt Vertragsgestaltungen, in denen ein Arbeitnehmer zur Erfüllung eines Werkvertrags für ein anderes Unternehmen tätig wird, tatsächlich aber in die Arbeitsorganisation dieses Unternehmens eingegliedert wird und nach den Weisungen des Auftraggebers für diesen tätig wird. [Schaub/Koch, ArbR-HdB, 17. Aufl., § 120 Rn. 12; Bauer, FD-ArbR 2016, 380020.] Scheinselbstständigkeit und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung haben nicht unerhebliche rechtliche Folgen für das Einsatzunternehmen. Neben Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer, droht eine Strafbarkeit wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (§ 266 a I StGB). [Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, ArbR 4.0 – HdB, 2018, Kap. 2 Rn. 27 ff.; v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2018, 114; Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 484 (485).] Im Fall einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung kommt es zudem zu der Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem eingesetzten Mitarbeiter und dem Auftraggeber. Nach §§ 9, 10 AÜGist der Auftraggeber verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer die gleichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, wie vergleichbaren Arbeitnehmern im Unternehmen. Daneben ist eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung eine Ordnungswidrigkeit und kann ein Bußgeld nach sich ziehen (§ 16 AÜG). [Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, ArbR 4.0 – HdB, Kap 2 Rn. 27 ff.; Heise, NZA 2017, 1572; Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 485.]
2 Risiken bei gemischten agilen Teams
a) Eingliederung in den Betrieb
Agile Teams zeichnen sich gerade dadurch aus, dass die Teams eng abgestimmt zusammenarbeiten. Freie Mitarbeiter oder Arbeitnehmer von externen Dienstleistern arbeiten im Regelfall „Schulter an Schulter“ mit den eigenen Arbeitnehmern des Unternehmens. Derartige Fremdkräfte haben in gemischten agilen Teams dieselbe Stellung inne wie eigene Arbeitnehmer und üben auch dieselben Tätigkeiten aus. Über die für eine agile Arbeitsmethode typischen täglichen Abstimmungsrunden („Daily“) findet eine enge Einbindung in den Arbeitsprozess statt. Häufig arbeitet das agile Team auch gemeinsam in einem Raum und nutzt unterschiedslos die vom Auftraggeber zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel. Dies alles deutet auf eine Eingliederung in den Betrieb des Unternehmens hin und begründet das Risiko einer Scheinselbstständigkeit oder einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung.
b) Weisungsabhängigkeit
Problematisch ist die Ausübung von Weisungsrechten durch den Auftraggeber. Zwar ist die Abkehr von hierarchischen Aufbaustrukturen für agile Arbeitsmethoden typisch. Das Entwicklungsteam soll gerade weisungsfrei arbeiten. Doch die Theorie lässt sich oftmals nicht lupenrein in die Praxis umsetzen. Insbesondere bei einer beabsichtigten engeren Kooperation, wie sie bei agilen Arbeitsmethoden typisch ist, kann es in der Praxis dennoch zu Weisungen des Scrum Masters (z.B. bezüglich Teilnahme an bestimmten Teammeetings) oder Product Owners (z.B. bezüglich der konkreten Art und Weise einer fachlichen Ausführung einer Teilaufgabe) kommen. [Näher dazu Hamann in Schüren/Hamann, AÜG, 5. Aufl. 2018, § 1 Rn. 203.] Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Behörden oder Gerichte die gemeinsam im Team getroffenen Entscheidungen als Weisung an den Einzelnen begreifen. Solche Weisungen im Team können als Indiz für eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung oder Scheinselbstständigkeit gewertet werden.
Zu unterscheiden ist in diesem Kontext zwischen disziplinarischen und fachlichen Weisungen des Arbeitgebers. [Zur Unterscheidung näher Bauer/Herzberg, NZA 2011, 713; Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546.] Das disziplinarische Weisungsrecht umfasst administrative Aspekte im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis wie beispielsweise Urlaubsgewährung oder personelle Einzelmaßnahmen. Das fachliche Weisungsrecht betrifft hingegen Anweisungen im Arbeitsalltag zur konkreten Ausübung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit. [Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546.] Auch im Rahmen von Dienst- und Werkverträgen ist ein fachliches Weisungsrecht des Auftraggebers allgemein anerkannt und im Werkvertragsrecht in§ 645 I BGBgesetzlich verankert. Gegenüber externen Mitarbeitern erteilte fachliche Weisungen können daher nicht allein maßgebliches Kriterium für die Annahme einer Scheinselbstständigkeit oder verdeckten Arbeitnehmerüberlassung sein. [Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 486.] Umgekehrt verliert das Indiz einer fachlichen Weisungsfreiheit bei so genannten „höheren Tätigkeiten“ an Bedeutung. Für höhere Tätigkeiten soll es gerade auch im Arbeitsverhältnis nicht untypisch sein, dass die entsprechenden Arbeitnehmer die Tätigkeit fachlich weisungsfrei erledigen. [Vgl. näher zu fachlich weisungsfreien Tätigkeiten ErfK/Preis, 19. Aufl. 2019, BGB § 611 a Rn. 65; BAGE 11, 225 = NJW 1961, 2085; BAG, NZA 2017, 581 = AP ArbGG 1797 § 2 Nr. 105.] Externe Teammitglieder sollen im Regelfall eine besondere Expertise in die agilen Teams einbringen, die im Unternehmen nicht vorhanden ist. Häufig wird es sich daher um eine solch höhere Tätigkeit handeln.
Trotz der im Ergebnis eher geringen Indizwirkung fachlicher Weisungsabhängigkeit ist für Auftraggeber bei der Erteilung fachlicher Weisungen gegenüber externen Mitarbeitern Vorsicht geboten. In der Praxis gestaltet sich eine Abgrenzung zwischen fachlichem und disziplinarischem Weisungsrecht oftmals schwierig, insbesondere bei doppelfunktionalen Weisungen. Ebenso existiert keine trennscharfe Abgrenzung für das Vorliegen höherer Tätigkeiten. Die Grenzen sind insofern fließend und damit auch die Bedeutung der fachlichen Weisungsabhängigkeit für die Beurteilung einer Scheinselbstständigkeit oder verdeckten Arbeitnehmerüberlassung.
3 Maßnahmen zur Risikovermeidung
Klassische Maßnahmen zur Verringerung des Risikos von Scheinselbstständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung beim Einsatz von Drittpersonal lassen sich kaum mit den „Spielregeln“ eines agilen Teams vereinbaren. Brückenkopfmodelle oder ein Ticketsystem [S. zum Brückenkopfmodell Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757 (2761); zu Ticket-System Schüren/Hamann, AÜG, § 1 Rn. 203 mwN.] funktionieren nicht in Teams, die eigenverantwortlich und gleichberechtigt darüber entscheiden, wer wie wann was macht.
a) Arbeitsverhältnisse
Die effektivste Risikovermeidung ist die Übernahme externer Kräfte in Arbeitsverhältnisse oder der Einsatz von Leiharbeitnehmern im Rahmen einer „echten“ Arbeitnehmerüberlassung. Diese Maßnahmen lassen sich in der Praxis aber häufig nur schwierig umsetzen. Die externen Fachkräfte sind oftmals nicht an dem Abschluss eines Arbeitsvertrags interessiert und regelmäßig auch nicht über Personaldienstleister auszuleihen.
b) Statusfestellungsverfahren
In Betracht käme auch die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens [S. zum Statusfeststellungsverfahren Heise/Friedl, NZA 2015, 129; Mais, ArbRAktuell 2011, 9 (10).] nach § 7 a SGB IVbei der Deutschen Rentenversicherung Bund. Die regelmäßige Dauer eines Statusfeststellungsverfahrens verträgt sich allerdings nur wenig mit der Veränderungsgeschwindigkeit in agilen Projekten. Unternehmen ist daran gelegen, etwaige Risiken bereits bei der Etablierung agiler Teams auszuschließen oder zumindest auf ein akzeptables Maß zu minimieren. Der Abschluss eines Statusfeststellungsverfahrens würde das Projekt meist überdauern.
c) Ausgestaltung der Zusammenarbeit mit rein externen Entwicklungsteams
Eine Risikovermeidung lässt sich daher am ehesten über den Einsatz rein externer Entwicklungsteams erreichen, in denen nur freie Mitarbeiter und Drittpersonal eingesetzt werden. Eine Eingliederung in die Betriebsorganisation des Unternehmens wird vermieden, wenn keine Zusammenarbeit „Schulter an Schulter“ zwischen eigenen und fremden Mitarbeitern stattfindet. Bei dieser Gestaltung ist der Product Owner regelmäßig der Arbeitnehmer des Unternehmens, der die Schnittstelle zum externen Entwicklungsteam bildet. Auch beim Einsatz rein externer Entwicklungsteams sollte auf Folgendes geachtet werden, um Scheinselbstständigkeit und/oder verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden:
- Keine arbeitsrechtlichen Weisungen vom Product Owner an die einzelnen Mitglieder des Entwicklungsteams, dh insbesondere keine Einflussnahme auf die Aufgabenverteilung innerhalb des Entwicklungsteams in den jeweiligen Sprints und auch keine Weisungen dazu, wie, wo und wann das Entwicklungsteam die Arbeiten konkret erledigt.
- Erforderliche Weisungen dem Auftragnehmer als fachliche Weisung im Rahmen des Werkvertrags ( 645 I BGB) erteilen. Auftragnehmer gibt die fachliche Weisung als arbeitsvertragliche Weisung an seine Arbeitnehmer weiter.
- Personalhoheit über Einsatz konkreter Mitarbeiter im Projekt verbleibt bei Auftragnehmer. Detaillierte Beschreibung des Anforderungsprofils durch Auftraggeber statt Abrufen konkreter Mitarbeiter.
- Räumliche Trennung des externen Entwicklungsteams von eigenen Arbeitnehmern, wenn das Projekt im Auftraggeberbetrieb durchgeführt wird.
- Keine disziplinarischen Maßnahmen durch den Product Owner bezüglich der Mitglieder des externen Entwicklungsteams (z.B. Abmahnung.).
- Keine Zuweisung von anderen Arbeiten im Betrieb des Auftraggebers an Mitglieder des externen Entwicklungsteams.
- Keine Eingliederung der Mitglieder des externen Entwicklungsteams in die betriebliche Organisation des Auftraggebers, dh:
–keine Firmen-E-Mail-Adresse;
–keine Nennung der Mitglieder des externen Entwicklungsteams im Telefonverzeichnis/Internet/auf Homepage des Auftraggebers;
–keine Nennung im Dienstplan des Auftraggebers;
–keine Teilnahme der Mitglieder des externen Entwicklungsteams an Firmenevents des Auftraggebers;
–keine Visitenkarten des Auftraggebers für Mitglieder des Entwicklungsteams;
–keine Urlaubsanträge/Krankmeldungen von Mitgliedern des externen Entwicklungsteams an den Auftraggeber/Product Owner;
–Erkennbarkeit des externen Fremdpersonals nach außen;
–keine Abwesenheits-/Urlaubsvertretung durch eigene Mitarbeiter des Auftraggebers;
–möglichst keine Nutzung von Betriebsmitteln des Auftraggebers.
- Bei Werkverträgen sollte der Product Owner die Rechte des Werkbestellers tatsächlich wahrnehmen, z.B. die Abnahme verweigern, wenn das Ergebnis eines Sprints nicht den abgesprochenen Zielen entspricht, oder bei Mängeln Gewährleistungsrechte ausüben.
Der Einsatz von Fremdpersonal über einen externen Dienstleister ist zudem weniger risikobehaftet als die Beschäftigung einzelner Selbständiger als freie Mitarbeiter. Letztere können im Vergleich zu Fremdpersonal eines externen Dienstleisters nicht in eine bestehende Betriebs- und Organisationsstruktur außerhalb der der Auftraggebers eingegliedert werden. Der Eindruck einer Eingliederung in die Betriebs- und Organisationsstrukturen des Auftraggebers kann damit leichter entstehen. Darüber hinaus besteht bei freien Mitarbeitern nicht die Möglichkeit, Weisungen als werkvertragliche Weisung „über die Ecke“ zu erteilen. [So auch Kühn/Wulff, CR 2018, 423.]
d) Vertragsgestaltung
Bei der konkreten Vertragsgestaltung mit dem Auftragnehmer sollten unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer agilen Arbeitsmethode Indizien für eine Scheinselbstständigkeit bzw. eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vermieden werden. Steht die agile Herangehensweise einer ausführlichen Leistungsbeschreibung bereits bei Werkvertragsschluss im Wege, so empfiehlt es sich, zunächst einen Rahmenvertrag zu schließen, der die Zusammenarbeit von Auftraggeber und Auftragnehmer regelt und nach dessen Vorgaben sodann einzelne Werkverträge, beispielsweise für jeweils einen Sprint, vereinbart werden. In dem Einzelvertrag kann jeweils das Ziel eines Sprints festgelegt werden („Definition of Done“), so dass sich eindeutig bestimmen lässt, ob ein Werk abnahmefähig oder mangelhaft ist. Zu diesem Zweck sollte das Werk, dh bei einzelnen Sprints das konkrete Zwischenergebnis klar abgrenz.B.ar sein. [Kühn/Wulff, CR 2018, 417 (423).] Sofern sich diese Herangehensweise mit separatem Vertrag pro Sprint als nicht praktikabel erweist, sollten aber jedenfalls die nach jedem Sprint Planning Meeting geänderten Anforderungen an das Endprodukt als gemeinsame Ergänzung der Leistungsbeschreibung in den zugrundeliegenden Werkvertrag aufgenommen werden. Dadurch wird verdeutlicht, dass es sich um keine einseitige fachliche Vorgabe des Auftraggebers handelt, sondern eine einvernehmliche Anpassung zwischen Auftraggeber und -nehmer stattfand. [Fn. 19: So auch Kühn/Wulff, CR 2018, 417 (423).]
Daneben ist es empfehlenswert, bei der Vertragsgestaltung die einzelnen Rollen wie die des Product Owners oder des Scrum Masters eindeutig zu beschreiben und festzuhalten, dass es sich bei etwaigen Weisungen dieser Personen um die im Werkvertragsverhältnis erforderlichen fachlichen und werkbezogenen Weisungen handelt, die zur Erfüllung des Werkvertrags erforderlich sind. [Kühn/Wulff, CR 2018, 417 (424).] Das werkvertragliche Weisungsrecht des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer leitet sich aus § 645 I 1 BGBab. [BAG, Urt. v. 15.7.1992 – 7 AZR 398/91, BeckRS 1992, 30741746.]
Freilich lässt sich das Risiko einer unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung oder einer Scheinselbstständigkeit nur minimieren, wenn die tatsächliche Vertragsdurchführung nicht von der vertraglichen Ausgestaltung abweicht. Die konkrete Bezeichnung des Vertrags als Werk- oder Dienstvertrag oder die rechtliche Ausgestaltung der Vertragsinhalte sind nicht entscheidend. Es bietet sich insofern an, den Scrum Master mit der Aufgabe zu betrauen, arbeitsrechtliche Weisungen des Auftraggebers gegenüber Mitarbeitern des Auftragnehmers zu verhindern und auf eine konsequente und fortwährende Einhaltung der werkvertraglichen Regelungen zu achten. Es genügt nicht, dass die genannten Kriterien lediglich zu Beginn der Vertragsdurchführung vorliegen. Ein zunächst als Werkvertrag geschlossener und umgesetzter Vertrag kann in eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung bzw. Scheinselbstständigkeit übergehen, sobald die gelebte Praxis den rechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt. [Heise/Friedl, NZA 2015, 129 (132).]
III Betriebliche Mitbestimmung
1 Überblick
Die Umstellung auf eine agile Aufbauorganisation kann ebenso eine Vielzahl mitbestimmungsrelevanter Themen berühren wie die Ein- und Durchführung agiler Arbeitsmethoden. Welche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten betroffen sind, hängt von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall ab. Einschlägig können ua sein: [Dazu vgl. Sittard/Müller, ArbRB 2018, 381 (383 f.); Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757 (2757 f.); Redmann, Agiles Arbeiten im Unternehmen, 2017, 127 ff.]
–Informations- und Beratungsrechte, § 80 II, § 90, § 106 BetrVG
–Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten, § 99 BetrVG
–Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, § 87 BetrVG
–Beteiligung bei Personalplanung und beruflicher Bildung, §§ 92 ff., 96 ff. BetrVG
–Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten, §§ 111 ff. BetrVG
2 Informations- und Beratungsrechte
Die Etablierung einer agilen Arbeitsorganisation kann Informationsrechte des Betriebsrats auslösen wie die allgemeine Pflicht des Arbeitgebers zur rechtzeitigen und umfassenden Unterrichtung des Betriebsrats nach § 80 II BetrVG. In Betracht kommen auch Unterrichtungsrechte des Betriebsrats über die Planung von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen (§ 90 I 3 BetrVG). Unter Arbeitsabläufen ist in diesem Zusammenhang die räumliche und zeitliche Folge des Zusammenwirkens von Mensch, Arbeitsmittel, Stoff, Energie und Information in einem Arbeitssystem zu verstehen, [Fitting, BetrVG, 29. Aufl. 2018, § 90 Rn. 24; LAG Hamm, Beschl. v. 3.12.1976 – 3 TaBV 68/76, DB 1977, 2190.] was zumindest bei der grundlegend neuen Einführung agiler Arbeitsmethoden wohl anzunehmen sein wird.
3 Mitbestimmung in personellen Angelegenheiten, § 99 BetrVG
Nach § 99 I 1 BetrVGhat der Arbeitgeber den Betriebsrat ua vor jeder Versetzung zu unterrichten. Die Zuweisung oder die erstmalige Einführung einer agilen Rolle kann eine Versetzung iSv § 95 III 1 BetrVGsein. Danach liegt eine Versetzung vor, wenn die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Geht eine bestimmte Tätigkeit mit einem steten Wechsel zwischen „klassischer Arbeitsorganisation“ und agiler Arbeit einher, kann dies für das einzelne Arbeitsverhältnis prägend sein. In diesem Fall ist anzunehmen, dass es sich bei den jeweiligen Wechselvorgängen nicht um mitbestimmungspflichte Versetzungen handelt. Dies lässt sich auf § 95 III 2 BetrVGstützen, wonach die Bestimmung des jeweiligen Arbeitsplatzes dann nicht als mitbestimmungspflichtige Versetzung anzusehen ist, wenn Arbeitnehmer nach der Eigenart ihres Arbeitsverhältnisses üblicherweise nicht ständig an einem bestimmten Arbeitsplatz beschäftigt werden. [S. dazu ausf. Teil 1 des Beitrags Günther/Böglmüller, NZA 2019, 273 (277).]
Als hilfreich können sich in der Praxis auch Regelungen in einer Rahmenbetriebsvereinbarung zu agilem Arbeiten zur Frage des Vorliegens mitbestimmungspflichtiger Versetzungen erweisen. Bei der Gestaltung ist allerdings zu beachten, dass die Regelungen nicht zu einem unzulässigen und damit unwirksamen Verzicht auf Mitbestimmungsrechte führen. [S. ausf. zu direktem und indirektem Verzicht auf Mitbestimmungsrecht Joussen, RdA 2005, 31.]
4 Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten,
§ 87 I BetrVG
Die Einführung und Durchführung agiler Arbeitsmethoden kann, abhängig von der Ausgestaltung im Einzelfall, unterschiedliche Mitbestimmungstatbestände aus dem Katalog des § 87 I BetrVGauslösen.
a) Lage der Arbeitszeit
Agile Arbeit soll gegebenenfalls mit mehr Freiheit und Eigenverantwortung der Mitarbeiter bei der Gestaltung der Arbeitszeit einhergehen. [S. zu den Grenzen des ArbZG BeckOK ArbR/Kock, 50. Ed., Stand 1.12.2018, ArbZG § 3 Rn. 1 ff.] Betriebliche Arbeitszeitmodelle können so auf den Prüfstand kommen. Über Lage und Verteilung der Arbeitszeit hat der Betriebsrat nach § 87 I Nr. 2 BetrVGmitzubestimmen. [Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757 (2758).]
b) Softwareeinsatz
In agilen Teams werden häufig elektronische Datenbanken oder Ablagesysteme genutzt, um den Projektfortschritt zu dokumentieren und Wissensmanagement zu betreiben. Je nach konkreter Ausgestaltung kann bei solchen so genannten agilen Projektgefäßen ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 6 BetrVGeingreifen. [Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757 (2758); vgl. dazu schon Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (550).] Dies gilt auch, falls die Teammitglieder ausnahmsweise nicht in einem Raum zusammenarbeiten, sondern kollaborative Software-Lösungen als Kommunikationsplattformen nutzen.
c) Arbeits- und Gesundheitsschutz
Nach § 87 I Nr. 7 BetrVGhat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie zum Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften. Die Einbindung der Beschäftigten in diesbezügliche Maßnahmen soll den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz möglichst wirkungsvoll gestalten. [Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 275 f.; BAGE 89, 139 = NZA 1999, 49 = AP BetrVG § 87 1972 Gesundheitsschutz Nr. 7; Bauer/Günther/Böglmüller, NZA 2016, 1361 (1362).] Die Mitbestimmung bezieht sich nur auf gesetzliche Vorschriften oder Arbeitsschutzbestimmungen, die dem Arbeitgeber Entscheidungsspielraum gewähren. Inhaltlich ist sie auf Maßnahmen beschränkt, die diese gesetzlichen Vorschriften spezifizieren oder ausfüllen. [Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 279.] Über diese Vorschriften hinausgehende Regelungen kann der Betriebsrat nicht verlangen. [BAGE 89, 139 = NZA 1999, 49 = AP BetrVG § 87 1972 Gesundheitsschutz Nr. 7; BeckOK ArbR/Werner, BetrVG § 87 Rn. 114; Bauer/Günther/Böglmüller, NZA 2016, 1361 (1362).] Zudem ist eine kollektive Angelegenheit erforderlich, die nicht nur einzelne Arbeitnehmer betrifft. [BeckOK ArbR/Werner, BetrVG § 87 Rn. 12; Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 287; Bauer/Günther/Böglmüller, NZA 2016, 1361 (1362).]
Im Hinblick auf agile Arbeitsmethoden wird dieses Mitbestimmungsrecht insbesondere dann relevant, wenn mit der Umstellung auf agile Arbeitsmethoden auch eine Umgestaltung der Betriebsräume einhergeht. Lärmbelästigung in Open Space-Office und dadurch ausgelöster Stress, aber auch gesteigerte Infektionsmöglichkeiten in so genannten Desk Sharing-Modellen durch die gemeinsame Nutzung von Betriebsmitteln wie Computertastaturen sind nur zwei Themenstellungen, die es möglicherweise mit dem Betriebspartner zu diskutieren gilt. [Ähnlich Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757 (2759).]
d) Betriebliche Lohngestaltung
Agile Rollen wie Scrum Master und Product Owner sind oftmals in bestehenden Vergütungsgruppen abgebildet. Möglicherweise sind daher betriebliche Eingruppierungssysteme anzupassen. Dabei wäre dann nicht nur zu prüfen, ob neue Vergütungsgruppen einzuführen oder bestehende Vergütungsgruppen näher zu definieren sind. [Ähnlich Hoffmann-Remy, DB 2018, 2757 (2759).] Es sollte auch darauf geachtet werden, ob die Systeme hinreichende Regelungen für den Fall vorsehen, dass Arbeitnehmer häufiger die Rollen wechseln und im Verlauf der Zeit somit unterschiedlichen Vergütungsgruppen unterfallen können. In einer agilen Organisation und Arbeitsmethode ist es typisch, dass einzelne Arbeitsgruppen stets neu für bestimmte Aufgaben zusammengesetzt werden und die Teammitglieder möglicherweise auch wechselnde Aufgaben übernehmen. Insofern ist es zur Vermeidung von Streitigkeiten hilfreich, wenn Eingruppierungssysteme konkrete Mechanismen zur Zuordnung von Mitarbeitern mit derart wechselnder Tätigkeit vorsehen (z.B. Schwerpunktbetrachtung über einen bestimmten Zeitraum). Diesbezüglich ist Basis für die Gespräche zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber die Regelung in § 87 I Nr. 10 BetrVG. Dies gilt allerdings nur, soweit keine tarifliche Regelung besteht. Soweit ein Tarifvertrag eine unmittelbare, zwingende und abschließende Regelung enthält, kommt ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 I Nr. 10 BetrVGnicht in Betracht. [Ausf. dazu Fitting, BetrVG § 87 Rn. 39 ff.]
Die betriebliche Lohngestaltung iSv § 87 I Nr. 10 BetrVGist auch dann betroffen, wenn im Zuge einer Umstellung auf agiles Arbeiten bislang in einer Betriebsvereinbarung geregelte variable Vergütungssysteme überarbeitet werden sollen. In agilen Teams liegt der Fokus auf dem Gruppenergebnis, das die Teammitglieder eigenverantwortlich gemeinsam erarbeiten. Es ist daher bereits praktisch schwierig, die Leistung des einzelnen zu bewerten. Bonusmodelle sind in agilen Unternehmen daher häufig nicht auf individuelle Ziele, sondern auf Unternehmensziele ausgelegt. War dies in der Vergangenheit anders, sind möglicherweise Betriebsvereinbarungen anzupassen.
e) Gruppenarbeit
Nach § 87 I Nr. 13 BetrVGsind mit dem Betriebsrat Grundsätze über die Durchführung von Gruppenarbeit zu vereinbaren. Zweck des Mitbestimmungsrechts soll sein, das Entstehen eines übermäßigen Gruppendrucks zu verhindern. Die Betriebsparteien sollen Regelungen finden, um einer möglichen Ausgrenzung leistungsschwächerer Arbeitnehmer und etwaiger Selbstausbeutung der Gruppenmitglieder entgegenzuwirken. [Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 564.] Gruppenarbeit im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt. Das Mitbestimmungsrecht umfasst z.B. die Regelung abstrakter Kriterien für die Auswahl von Teammitgliedern, Regelungen zur Mindestgröße der Gruppe, Maßnahmen zum Schutz leistungsschwacher Mitarbeiter und Konfliktlösungsmechanismen.
Es kommt im Einzelfall darauf an, ob die konkrete Ausgestaltung der Zusammenarbeit im agilen Team und der Rolle des agilen Teams in der Gesamtorganisation eine Gruppenarbeit im Sinne des Gesetzes begründet. Der Gruppenbegriff setzt voraus, dass den in der organisatorischen Gemeinschaft der Arbeitsgruppe zusammengefassten Arbeitnehmern für eine gewisse Dauer eine Gesamtaufgabe zur Erfüllung übertragen wird. [Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 569.] Das Ergebnis der Zusammenarbeit der Arbeitnehmer in der Arbeitsgruppe muss ein abgrenzbares, in sich abgeschlossenes Gesamtergebnis der Gruppe darstellen. [Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 566.] Kennzeichnend für eine solche Gruppenarbeit ist, dass die Arbeitnehmer eine gemeinsame Verantwortung für die zu erbringende Arbeitsleistung tragen. Die Arbeitsgruppe muss ihre Arbeit im Wesentlichen in eigener Verantwortung erledigen können. Die Arbeitnehmer der Gruppe müssen befugt sein, die täglichen Arbeitsabläufe selbstständig zu regeln, dh zur Erfüllung der ihnen übertragenen Gesamtaufgabe die notwendigen Arbeitsschritte im Rahmen der betrieblichen Vorgaben selbstständig zu planen, zu steuern, unter den Arbeitnehmern der Gruppe zu verteilen und das Ergebnis zu kontrollieren. Die Bewältigung der Arbeitsaufgaben muss weitgehend ohne Ausübung von Weisungsrechten durch den Arbeitgeber erfolgen. Der Gruppe müssen daher auch Vorgesetztenkompetenzen übertragen sein, über deren weitere Delegation auf eine oder mehrere Personen und deren Ausübung die Gruppe selbst entscheidet. Eine lediglich überwiegend eigenverantwortliche Erledigung der Gesamtaufgabe reicht nicht aus. [Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 568.]
In der Praxis wird es für die Einordnung daher darauf ankommen, in welchem „Reinheitsgrad“ eine agile Arbeitsmethode angewendet wird. Häufig werden agile Arbeitsmethoden nicht hundertprozentig umgesetzt, sondern agile Elemente werden mit klassischen Arbeitsmethoden vermischt. Dies kann bereits gegen die notwendige Eigenverantwortlichkeit sprechen. Werden den Mitgliedern der Gruppe z.B. feste Rollen zugewiesen, so dass es gerade nicht der Arbeitsgruppe selbst überlassen bleibt, die Arbeitsschritte unter den einzelnen Gruppenmitgliedern aufzuteilen, ist die Annahme einer Gruppenarbeit iSv § 87 I Nr. 13 BetrVGfernliegend.
Aber auch bei der Durchführung einer Scrum-Methode nach der „reinen Lehre“ kann nach den Einzelfallumständen fraglich sein, ob ein Mitbestimmungsrecht besteht. So erhalten die Mitglieder des Entwicklungsteams jeweils nach Abschluss eines Sprints neue fachliche Vorgaben durch den Product Owner. Auf dem Weg zur Erledigung der Gesamtaufgabe handelt das Team somit nicht vollständig eigenverantwortlich, sondern in Absprache mit dem Product Owner. Dieser verantwortet letztlich das Gesamtprodukt. Insoweit ist fraglich, inwieweit auch ein Produktteil als abgeschlossenes Gesamtergebnis einer Gruppe betrachtet werden kann. Dies wird davon abhängen, ob es sich bei Zwischenergebnissen um klar abgrenzbare Produkte handelt, für die das Entwicklungsteam die gemeinsame Verantwortung trägt. [Krit. hierzu Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 566; BeckOK ArbR/Werner, § 87 Rn. 203; Preis/Elert, NZA 2001, 371 nach denen die Gruppe nicht für das Arbeitsergebnis verantwortlich sein muss, sondern lediglich für die zu erbringende Arbeitsleistung.]
Schließlich hat die Gruppe iSv § 87 I Nr. 13 BetrVGfür eine gewisse Dauer zu bestehen. Dabei wird nach dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts aber weniger auf die konkrete Zusammensetzung einer Gruppe abzustellen sein, als auf die Gruppenarbeit an sich.
Fällt die Abgrenzung zwischen mitbestimmungsrelevanter Gruppenarbeit und nicht mitbestimmter Zusammenarbeit im Team schwer, kann es angezeigt sein, das Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 13 BetrVG„vorsorglich mit zu erledigen“. Hierfür kann sich eine Betriebsvereinbarung zu agiler Arbeit anbieten, in der gebündelt mitbestimmungsrelevante Themen für die agile Arbeit geregelt sind.
5 Qualifizierung und Weiterbildung
Soweit Mitarbeiter über notwendiges Know How zum agilen Arbeiten nicht bereits verfügen, besteht ein Qualifizierungsbedarf. [Zur individualrechtlichen Situation bei Qualifizierung s. Teil 1 des Beitrags Günther/Böglmüller, NZA 2019, 273 (276).] So sind Arbeitnehmer möglicherweise in agilen Arbeitsmethoden zu schulen. Führungskräfte haben in der agilen Arbeitswelt neue Aufgaben. Moderation und Coaching stehen im Fokus und können ebenfalls Gegenstand einer Weiterbildung sein.
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats können sich im Zusammenhang mit Qualifizierung und Weiterbildung aus den §§ 96 ff. BetrVGergeben. [dazu Arnold/Winzer in Arnold/Günther, ArbR 4.0 – HdB, Kap. 3 Rn. 103 ff.] So normiert § 97 II BetrVGein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen, sofern die besonderen Voraussetzungen der Norm vorliegen. Unter bestimmten Umständen ermöglicht die Norm dem Betriebsrat, Maßnahmen der Berufsbildung zu fordern. [Vgl. Franzen, NZA 2001, 865 (868).] Ein individueller Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers auf die Durchführung einer beruflichen Bildungsmaßnahme ergibt sich aus der Norm allerdings nicht. § 97 II BetrVGkommt zur Anwendung, wenn der Arbeitgeber Maßnahmen durchführt oder plant, die zu einem Qualifikationsdefizit der betroffenen Arbeitnehmer führen. Die Maßnahmen des Arbeitgebers müssen so nachhaltige inhaltliche Änderungen der Tätigkeit des Arbeitnehmers nach sich ziehen, dass dessen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung der Aufgaben nicht mehr ausreichen. [Vgl. ErfK/Kania, 19. Aufl. 2019, BetrVG § 97 Rn. 6.] Das Qualifikationsdefizit muss demnach Folge einer dem Arbeitgeber zurechenbaren tätigkeitsändernden Maßnahme sein. [Fitting, BetrVG, § 97 Rn. 11 ff.] Um Maßnahmen im Sinne der Vorschrift handelt es sich z.B. bei der Einführung neuer Technologien, Maschinen oder Software. [DKKW/Buschmann, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 97 Rn. 12.] An das Ausmaß der Tätigkeitsveränderung sind in qualitativer Hinsicht hohe Anforderungen zu stellen. [Vgl. Richardi/Thüsing, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 97 Rn. 11.] Bei der Einführung agiler Arbeitsmethoden ist insofern wiederum im Einzelfall festzustellen, mit welchem „Reinheitsgrad“ agile Arbeit implementiert werden soll. Das Qualifikationsdefizit einzelner Teammitglieder muss nicht zwangsläufig die Schwelle erreichen, bei der anzunehmen ist, dass ohne gezielte Fortbildung die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden kann.
6 Betriebsänderungen, insbesondere Qualifizierungssozialplan
Die Umstellung auf eine agile Aufbauorganisation kann ebenso wie die Einführung agiler Arbeitsmethoden eine Betriebsänderung iSv § 111 BetrVGsein und somit die Pflicht zur Verhandlung eines Interessenausgleichs und Sozialplans auslösen. Nach § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVGist die grundlegende Änderung der Betriebsorganisation eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung. Eine solche Änderung der Betriebsorganisation kann vorliegen, wenn sich der betriebliche Aufbau verändert, insbesondere hinsichtlich Zuständigkeit und Verantwortung. [BAGE 108, 311 = NZA 2004, 741; BAG, NZA 2008, 957; NZA 2016, 894; Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 92; Richardi/Annuß, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 111 Rn. 108; ErfK/Kania, BetrVG § 111 Rn. 17.] Beispiele hierfür sind das Einführen „flacher Hierarchien“ [ErfK/Kania, BetrVG § 111 Rn. 17.] durch den Wegfall von Leitungsebenen und Hierarchiestufen, die Implementierung von „desk sharing“, [LAG Düsseldorf, NZA-RR 2018, 368; ErfK/Kania, BetrVG § 111 Rn. 17.] oder die Fremdvergabe bisher unternehmensintern erbrachter Tätigkeiten im Wege des Outsourcings. [BAGE 108, 311 = NZA 2004, 741; ArbG München, Beschl. v. 22.2.2000 – 23 BV 19/99, BeckRS 2000, 30852961; ErfK/Kania, BetrVG § 111 Rn. 17; Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 92.] Auch bei der Umstellung von einer Linienorganisation auf eine agile Netzwerkorganisation kann somit eine Betriebsänderung gegeben sein.
Nach § 111 S. 3 Nr. 5 BetrVGkann die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden ebenfalls eine Betriebsänderung begründen. Arbeitsmethode meint die Art und Weise, in der Arbeit systematisch ausgeführt wird. Erfasst sind sämtliche planmäßigen Regelungen, die dem Arbeitsablauf zugrunde liegen, also welche Person welche Aufgabe mit welchen Hilfsmitteln ausführt. [BAG, NZA 2016, 894; Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 98.] Beispiele sind der Übergang zur Gruppenarbeit [Richardi/Annuß, BetrVG, § 111 Rn. 120.] und die Verlagerung von Entscheidungsbefugnissen in eine dezentrale Struktur. Werden agile Arbeitsmethoden eingeführt, kann dies somit zu einer Betriebsänderung iSv § 111 S. 3 Nr. 5 BetrVGführen. [So auch Sittard/Müller, ArbRB 2018, 381 (383).]
Sowohl bei § 111 S. 3 Nr. 4als auch bei § 111 S. 3 Nr. 5 BetrVGmüssen aber „grundlegende“ Änderungen stattfinden. Eine Veränderung ist dann grundlegend, wenn sie sich erheblich auf den Betriebsablauf auswirkt. [BAGE 108, 311 = NZA 2004, 741; BAG, NZA 2008, 957; NZA 2016, 894; Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 95, 101.] Entscheidend dafür ist das Ausmaß der Veränderung, dh ob sich der Betriebsablauf wesentlich anders darstellt. [BAG, NJW 1983, 2838; NZA 2004, 741; NZA 2016, 894.] Dies ist anhand einer Gesamtschau von Betriebsablauf, Arbeitsweise und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer qualitativ zu beurteilen. [BAGE 154, 313 = NZA 2016, 894 = AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 71.] Indiz ist die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer. Wie bei einer Betriebseinschränkung durch reinen Personalabbau iSv § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVGstellt die Rechtsprechung dabei auf die Schwellenwerte von § 17 I KSchGab. [BAG, NJW 1983, 2838; LAG Düsseldorf, Beschl. v. 20.4.2016 – 4 TaBV 70/15, BeckRS 2016, 71599.] Bei größeren Betrieben mit mehr als 600 Arbeitnehmern müssen allerdings mindestens 5 % der Belegschaft von der Änderung betroffen sein. [BAG, NZA 1991, 113; s. auch Röder/Baeck, Interessenausgleich und Sozialplan, 5. Aufl. 2016, 50.] Sind diese Schwellenwerte nicht erreicht, kann aufgrund qualitativer Betrachtung aber dennoch eine Betriebsänderung vorliegen. Eine grundlegende Änderung kann daneben auch aus dem Maß der körperlichen und / oder geistigen Auswirkungen auf die Arbeitnehmer folgen. [BAGE 154, 313 = NZA 2016, 894 = AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 71; Fitting, BetrVG, § 111 Rn. 101.] Hat die Einführung der agilen Arbeitsorganisation oder -methode derartige Folgen, was im Einzelfall zu prüfen ist, kann eine Betriebsänderung vorliegen.
Löst die Einführung agiler Arbeitsmethoden oder einer agilen Aufbauorganisation eine Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht aus, rücken bei der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung dieser Vereinbarungen Regelungen zur Qualifizierung der Beschäftigten in den Fokus. Primär wird es darum gehen, die entstehenden Qualifizierungsdefizite arbeitgeberseitig auszugleichen, wenn mehr eine Veränderung als ein Wegfall von Arbeitsplätzen Folge der Betriebsänderung ist. Solche „Qualifizierungssozialpläne“ können konkret für die Qualifizierung zu agiler Arbeit ua folgende Regelungskomplexe enthalten: [S. ausf. zu Qualifizierungssozialplänen Röder/Gebert, NZA 2017, 1289.]
–Erhebung des Qualifizierungsbedarfs („Soll-Ist-Analyse“) [Fitting, BetrVG, § 97 Rn. 14.]
–Auswahl des Teilnehmerkreises für Qualifizierungsmaßnahmen
–Festlegung von Qualifizierungszielen
–Festlegung von Qualifizierungswegen (Entwicklung maßgeschneiderter Qualifizierungsbausteine)
–Zeitliche Lage der Qualifizierungsmaßnahmen
–Teilnahmepflichten
–Kosten der Qualifizierungsmaßnahme
IV Fazit
- Unternehmen, die agile Arbeitsmethoden unter Einbindung Externer etablieren, sollten bei der Vertragsgestaltung sowie bei der konkreten Durchführung darauf achten, das Risiko von Scheinselbstständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung zu minimieren. So arbeiten in agilen Projektteams oftmals Arbeitnehmer und Externe (freie Mitarbeiter, Arbeitnehmer von Dienstleistern) „Schulter an Schulter“ in den Betriebsräumen des Unternehmens zusammen. Eine Eingliederung der Externen in die Betriebsorganisation des Einsatzunternehmens liegt nahe. Typische Maßnahmen zur Verringerung des Risikos von Scheinselbstständigkeit und verdeckter Arbeitnehmerüberlassung wie das so genannte Brückenkopfmodell passen nicht zur typischen Ausgestaltung der Zusammenarbeit in agilen Teams. Kommt die Übernahme Externer in Arbeitsverhältnisse nicht in Betracht, kann das Risiko verringert werden, indem statt gemischter nur rein externe Teams eingesetzt werden. Diese können über einen konkreten internen Ansprechpartner, der auch Teil der agilen Struktur ist – z.B. der Product Owner nach der Scrum-Methode – gesteuert werden. Bei aller Agilität sollten Externe also nicht in die eigene Arbeitsorganisation eingebunden werden. Konkrete Weisungen sollte der Auftraggeber, z.B. über einen Product Owner – direkt an das Unternehmen des Auftragnehmers richten, die Letzterer an seine Mitarbeiter (externe Team-Mitglieder) weitergibt.
- Die Ein- und Durchführung agiler Arbeit kann eine Vielzahl unterschiedlicher Beteiligungsrechte des Betriebsrats auslösen. Letztendlich wird hier in jedem Einzelfall zu prüfen sein, in welcher „Spielart“ und Intensität Agilität im Unternehmen Einzug hält, um die konkreten Mitbestimmungsrechte bestimmen zu können. Dies gilt insbesondere bei der Frage, ob agil arbeitende Teams eine Gruppenarbeit iSv § 87 I Nr. 13 BetrVGausführen.
- In (Rahmen-) Betriebsvereinbarungen zu agiler Arbeit lassen sich Regelungen zu den relevanten Themen treffen. Insbesondere Qualifizierungsthemen werden mehr Bedeutung erfahren als bisher. In der Praxis gewinnen deshalb so genannte Qualifizierungssozialpläne an Bedeutung.
Quelle:
Rechtsanwalt Dr. Jens Günther und Rechtsanwalt Dr. Matthias Böglmüller
(NZA 2019, 417)